Treteffizienz steigern durch die ideale Tiefe der Kniebeuge

Bei einem Bike Fitting werden die Einstellung der Sitzposition und Auswahl der Komponenten auf die individuelle Zielsetzung und athletische Kondition des Fahrers angepasst. Vereinfacht gesagt: Das Rad wird an den Fahrer angepasst, nicht umgekehrt.

Ein gut ausgebildeter Fitter beachtet allerdings auch die zweite Komponente, durch die eine perfekte Symbiose aus Material und Mensch geschaffen wird: die Arbeit am Fahrer. Für einen kurzfristigen Erfolg wird das Rad an den Athleten angepasst, mittelfristig erreicht man die gewünschte und leistungsstärkste Position aber nur, wenn auch beim Fahrer bestimmte Anpassungsprozesse angestoßen werden.

Da Radsport allein den Athletenkörper nicht in einem ausgeglichenen Maße beansprucht, darf und muss häufig noch auf diesen Einfluss genommen werden. Eine stabile Sitzposition beizubehalten während man kraftvoll in die Pedale tritt ist beispielsweise nur mit einem starken Rumpf möglich.

Ein Baustein einer professionellen Sitzpositionsoptimierung ist dabei nicht nur, die Beweglichkeit des Athleten zu erweitern, sondern auch, die Bewegungskontrolle zu verbessern sowie die manuelle Manipulation durch einen Therapeuten bei dekompensierten körperlichen Gegebenheiten. Oder, einfacher ausgedrückt: Athletiktraining zur Verbesserung von Flexibilität und Stabilität und im Bedarfsfall Manuelle Therapie beim Physiotherapeuten.

Kaum ein Radfahrer hat in diesem Zusammenhang nicht schon vom Wert der Kniebeuge gelesen. In diesem Beitrag beleuchte ich gewisse radspezifische Gesichtspunkte der Kniebeuge als gezielte Trainingsmaßnahme für Radfahrer.

Squatting als radsportspezifische Trainingsmaßnahme

Ganze Bücher wurden über die korrekte Ausführung der Kniebeuge veröffentlicht. Und man muss sagen: zu Recht. Diverse Ausführungsmöglichkeiten und mangelhafte Ausführungsweisen lassen die Kniebeuge, die zunächst so einfach erscheint, auf einmal hochkomplex wirken. Wie bei allen Athletikübungen ist aber auch bei der Kniebeuge eine saubere Anleitung und Ausführung essentiell. Andernfalls trainiert man bestenfalls etwas ganz Anderes als das Gewünschte, schlechtestenfalls tut man sich weh. Für eine solide Basis möchten wir Euch daher das Buch „Krafttraining im Radsport“ von Mühlehoff/Sandig/Wagner ans Herz legen. Außerdem sollte ein Bikefitter ohne physiotherapeutischen oder sportwissenschaftlichem Hintergrund unbedingt praktisch mit einem Spezialisten zusammenarbeiten, um sich in puncto Anleitung, Ausführung und Beurteilung vollkommen sicher zu sein.

Unser Ziel in der radspezifischen Analyse ist es, mit effektiven Trainingsmaßnahmen die Leistung auf dem Rad zu verbessern. Doch wie sieht dies im Praxisalltag aus?

Die Studie „Joint Angle Specific Strength Adaptations Influence Improvements in Power in Highly Trained Athletes” von Rhea et al (2016) legt einen Einfluss der Ausführungstiefe der Kniebeuge nahe.

Da Radfahrer bestenfalls sehr früh einen relevanten Teil ihrer Kraft in der Tretbewegung einsetzen (bei 80° des Kniegelenkes), das Kraftmaximum bei einem typischen Kniegelenkswinkel von 110 bis 130° entwickeln und eine solide Kraftübertragung bis zum unteren Totpunkt (Kniegelenkswinkel von 136 bis 140°) vorhanden ist, sollte die Ausführung der Kniebeuge 80 bis 145° Gelenkswinkelbeugung einschließen. Das entspricht der bisher in der Trainingswissenschaft bevorzugten tiefen Kniebeuge.

Bei einer gezielten Analyse der Tretkraft kann allerdings zusätzlich anhand von Kraftkurven festgelegt werden in welcher Phase der Tretbewegung konkret Optimierungsspielraum besteht. Mangelt es an Kraft in der Antrittsphase der Tretbewegung, setzt ein Trainingsprogramm den Fokus auf die tiefe Ausführung. Fehlt es allerdings im vorderen unteren Quadranten an Tretkraft, konzentriert sich das Programm auf ¼ Kniebeugen.

Ein Beispiel

Fahrer: ambitionierter Fahrer, übt seit >1 Jahr Kniebeugen im Athletiktraining und erreicht das 1,5fache seines Körpergewichtes (1 rm = repetition max)

In der Tretkurven – Analyse in Abbildung 2 fällt auf, dass die zeitliche Phase, in der 95% des maximalen Kraftwertes erreicht wird, mit 7 msec recht kurz ausfällt. Wir nennen dies ein „kurzes Plateau“ und setzen es mit einer nicht optimal effektiven Tretbewegung in Zusammenhang. In Sportler-Jargon: Womöglich kann der Fahrer bis zum Ende der Tretbewegung, in der das Bein weiter gestreckt wird, nur eingeschränkt „Punch“ entwickeln. Wir wünschen uns also eine verlängerte effektive Tretphase als Resultat des Wintertrainings.

Trainingsprogramm in der Off-season

Wellenförmige Periodisierung über 12 Wochen, 4 Einheiten / Woche

2x schweres Workout: Squats ¼ (60-80°)  4-8 Sätze mit 8 WH bei maximaler Intensität

2x leichtes Workout: Step-ups, Lunges, Squats (<110°)  je 2 Sätze gegen das eigene Körpergewicht und in voller Bewegungsausführung.

Nachfolgetermin nach 12 Wochen

Die Wirkung des gelenkwinkelspezifischen Trainings zeigt sich anhand der positiven Entwicklung der Kraftkurve. Ein im Mittelwert um 30%  verlängertes „Plateau“ in der Kraftkurve visualisiert die verbesserte Tretbewegung, bei der 95% der maximalen Kraft nun früh beginnt und lange durchgehalten wird. Diese Tretweise bedarf einer geringeren Kraftspitze bei jedem einzelnen Tritt, um dieselbe Leistung zu generieren. Dies wiederum führt in einer Ausdauerleistung wie dem Radfahren der Vermutung nach zu einer effektiveren Leistungsentfaltung und langsameren Ermüdung.

Natürlich muss beachtet werden, dass es vielfältige Faktoren gibt, die in einer 12 wöchigen Trainingsphase Einfluss auf die Pedaliertechnik genommen haben können – nicht zuletzt das Radtraining selbst. Aus unserer Erfahrung gibt es allerdings drei Schlüsselfaktoren, die eine effektive Kraftapplikation ermöglichen und messbar verbessern:

  • Individuelle Optimisierung der Sitzhöhe und des Sattelversatzes
  • Training mit entkoppelten Kurven
  • Gezieltes Squat – Training, angepasst an Ergebnisse aus der Tretkraftanalyse

Fazit

Die Kniebeuge ist eine effektive An-Land-Trainingsmaßnahme für Radsportler. Die individuelle, auf den Fahrer abgestimmte Auswahl der Übungsausführung und die Planung des Trainings sollten hierbei gewissenhaft durchgeführt werden, um den gewünschten Erfolg zu erzielen.

Wir bemühen uns mit unseren Blog Artikeln, den Transfer von wissenschaftlichen Ansätzen und Erkenntnissen in die Praxis darzustellen und freuen uns über das Kommentieren, Teilen und Diskutieren von euch!

Folgende aktuelle Buchveröffentlichungen könnten außerdem für Radsport Analysten interessant sein:

English: Cheung / Zabala: “Cycling Science”

http://www.humankinetics.com/products/all-products/cycling-science

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German: Sandig / Schlömmer “Programmdesign im Functional Training”

https://www.m-vg.de/riva/shop/article/3794-programmdesign-im-functional-training/