Vom Affen auf dem Schleifstein und Viagra für die Muskeln
„We fit your bike!“ – „Wir optimieren Dein Rad!“ ist unser gebioMized Claim. Aber haben wir da wirklich nachgedacht oder klingt das einfach gut, wie es sich für einen Claim gehört und trifft doch nur einen Teil der Wahrheit?
Das perfekte Zusammenspiel von Athlet und Sportgerät ist unser Ziel und wenn nicht sogar Voraussetzung dann zumindest einer der wichtigsten Grundsteine für anhaltende Glückseligkeit auf dem Rad. Hierbei ist die Materialoptimierung und Feineinstellung der Sitzposition Kern und Angelpunkt eines jeden Bikefittingprozesses. Warum aber sind perfekte Geometrie, Komponentenwechsel und die millimetergenaue Einstellung der Sattelposition trotzdem nicht Garant für eine „perfekte“ Position auf dem Rad?
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Mein Kollege ist ambitionierter Hobbyradfahrer und ist – dem Beruf entsprechend – optimal auf seinem Rad positioniert. In Kursen oder Präsentationen aber auch ein wunderbares Beispiel für einen Radfahrer mit freundlich gesagt `eingeschränkter Beckenbeweglichkeit´. Mit einer provokativ zu gestreckt eingestellten Sitzposition eine herrliche Livedemonstration des berühmten „Affen auf dem Schleifstein“.
Unterschiedliche Beckenbeweglichkeiten (links eingeschränkt, rechts mobil)
Ein perfektes Lehrbeispiel für den beginnenden Bikefitter, eine kürzere Reichweite und verringerte Überhöhung durch eine Wendung der Vorbauneigung zu generieren. Ergonomisch korrekt, ästhetisch eine mittlere Katastrophe für den Material- bzw. Geometrieästhetikfetischisten. Und jetzt kommt besagter Kollege als Fittingproband zu unserem Kurs, bereit auch dem ungeübten Bikefitterauge eine Demonstration eingeschränkter Beweglichkeit zu liefern. Und dann das: Weder Flexibilitätstests noch eine Analyse der Rückenlinie in der Videoanalyse erzielen das gewünschte Affe-auf dem-Schleifstein-Beispiel. What happened?
Besagter Kollege hat einfach selber umgesetzt, was wir wie vermutlich hunderte Bikefitter in der Welt unseren Kunden im Labor tagein tagaus vermitteln und an seiner Beweglichkeit gearbeitet. Mit einem sogenannten Foam Roller, Gattung „Faszienbearbeitungsgerät“, Generation heute.
Eigentlich aufgrund von Rückenproblemen verursacht durch ausufernde Reisetätigkeit und seiner Neugierde auf das neue aus den USA mitgebrachte orangene Spielzeug.
Quelle: http://www.tptherapy.com/
Was ist daran jetzt so besonders fragen sich die Physios und Sportler unter uns – zu Recht, Black Rolls und Co. sind nichts Neues und natürlich verbessert sich die Beweglichkeit, wenn man an seiner Beweglichkeit arbeitet. Das Besondere in diesem Fall: die besagte Reise meines Kollegen lag erst 4 Wochen zurück und die Ergebnisse augenscheinlich äußerst beeindruckend.
Was steckt also hinter diesen berühmten Faszien und Faszienmobilisationen, bzw. den Gerätschaften mit denen man sich diesem Ziel widmet. Und warum deklariere ich einen Foam Roller, ein Jahr nach diesem Schlüsselerlebnis, als ein must-have für jeden Radsportler und jeden, der mit Radsportlern arbeitet?
„Neuartige Möglichkeiten der Untersuchung von Gewebestrukturen und deren Ergebnisse, vorgestellt auf dem überaus erfolgreichen 1. Fascia Research Congress an der Harvard Medical School 2007 sowie einem kurz darauf veröffentlichten positiven Bericht in einem hochkarätigen Science Journal führten zu zur aktuell weltweiten Aufbruchstimmung im Feld der Faszienforschung“, so Dr. Robert Schleip, erfahrener Praktiker und renommierter Faszienforscher an der Universität in Ulm.
Dass die Automobilisation aka Selbstbehandlung der Faszienstrukturen gerade für den Radfahrer so interessant sein kann, erklärt sich an der wichtigen Schlüsselstelle Becken/Rumpf. Eine nicht nur ergonomisch optimale, sondern perfekte Position auf dem Sportrad ist nur mit einer guten Beweglichkeit umsetzbar. Beweglichkeit ist von vielen Faktoren abhängig: Veranlagung, Verletzungen, Training, Ernährung etc. und selbst mit eher überbeweglicher Veranlagung kann man wunderbare sportspezifische Einschränkungen entwickeln, wie ich aus eigener Erfahrung berichten kann. Und die meisten Sportler haben nachvollziehbarer Weise nicht die Zeit, das Geld oder auch nur Geduld, ihren Physiotherapeuten, Heilpraktiker oder Osteopathen kontinuierlich mehrfach in der Woche zu besuchen. Also – selber machen.
Dass die Verbesserung der Beweglichkeit mit Foam Roller -Selbstbehandlungen dann noch weitere nachgewiesene positive Effekte hat, bestätigt auch Dr. Schleip. So wurden in neueren Studien gezeigt, dass der Stoffwechsel nach einer Foam Roller Behandlung in den behandelten Bereichen deutlich aktiviert ist. Überraschend sei dabei aber die vermehrte Ausschüttung eines gasförmigen Botenstoffes: Stickoxid (nitric oxide = NO) in diesen behandelten Bereichen. Das ist ein Botenstoff, der die Gefäße elastischer macht und allgemein als besonders fördernd für die Durchblutung angesehen wird. Laut Schleip, Heilpraktiker und Koryphäe der Faszienforschung, könne man auch sagen, dass eine Foam Roller Behandlung wie Viagra auf die behandelten Muskeln und Faszien wirke. (Viagra wirkt als lokaler Stickoxid Spender für den männlichen Genitalbereich). Das erkläre auch, warum die Sportler von einer immens verbesserten Regenerationsfähigkeit und Trainingsadaptation berichten.
Foam Roller und Faszienbehandlungen sind somit nicht nur ein weiteres Tool in der Modebewegung „Functional Fitness und was man dafür kaufen kann“ sondern ein Physiotherapeut, der Viagra verschreiben darf.
Und selber machen, das sehen wir im Labor, funktioniert. Mit dem kosteneffizienten orangenen Hilfsmittel wird aus dem Äffchen dann tatsächlich ein Rennradfahrer, der auch in einer Zeitfahrposition eine perfekte Position erarbeiten kann. Nicht innerhalb von einer Woche, aber eben auch nicht mit dem Arbeitsaufwand von Jahren und ausufernden Wochenstundenumfängen, die man doch lieber auf dem Rad verbringen möchte.
Wir versäumen in unserem Claim „ We fit your bike“ den nicht selten wichtigeren Teil, den Mensch in der Symbiose Mensch – Maschine. Aber wir gleichen diesen Fauxpas aus, indem wir von der Möglichkeit des Faszienviagras umfassend Gebrauch machen.
Autor: Lotte Kraus
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