AUGEN AUF BEIM (RAD)-HOSENKAUF!
Wenn wir uns im Bikefitting mit der Kontaktstelle Sattel beschäftigen, ist es unser Ziel, alle beteiligten Elemente optimal aufeinander abzustimmen. Das Sattelmodell alleine führt nur teilweise zu Verbesserungen, es sollten immer auch weitere Parameter, z.B. die Sitzhöhe, Sattelposition und -neigung berücksichtigt werden. Zusätzlich spielt die Auswahl der Radhose auch eine entscheidende Rolle zur Optimierung des Komforts!
Nicht selten stellen wir in unserem concept-lab fest, dass die Sitzpolster in der Radhose nicht zur Beckenanatomie des Fahrers passen. Da hilft dann manchmal der beste Sattel nur wenig, um vorliegende Sitzbeschwerden dauerhaft zu lösen. Aus diesem Grunde möchte ich mit diesem Blog-Artikel einige Tipps zur richtigen Hosenauswahl aus biomechanischer Sicht geben.
1. Aufgaben der Radhose
Die Radhose bildet die Schicht zwischen Sattel und Becken des Radsportlers. Ihre Hauptaufgabe liegt biomechanisch gesehen darin, die am Sattel anliegende Gewichtskraft des Fahrers zu verteilen und zu dämpfen. Eine großflächige Verteilung der Kraft führt automatisch zu geringeren maximalen Druckspitzen, was gleichbedeutend mit einer Komfortverbesserung am Sattel ist. Deshalb ist das Polster innerhalb der Hose auch so wichtig: ohne dieses dämpfende Element würde die Kraft, mit der der Fahrer den Sattel belastet nahezu ungefiltert wieder in die druckempfindliche Beckenregion zurückgegeben werden. Zwar ist der Effekt des passenden Sattelmodells auf die Druckverteilung größer (30-40% Druckreduzierung möglich), jedoch ist der Effekt des Hosenpolsters mit 15-25% Druckreduzierung im Schnitt groß genug, um in jedem Fitting Beachtung zu finden!
Die Abbildung links zeigt die Druckverteilung unseres Probanden mit neutraler Hose (Lauftight ohne Polsterung), die Abbildung rechts zeigt die Messung mit gepolsterter Radhose
In diesem Beispiel wird eine Druckreduzierung von knapp 25% erreicht. Die einzelnen Druckpunkte sind weiterhin erkennbar, werden aber aufgrund des Sitzpolsters gedämpft und die Kontaktfläche vergrößert sich. Durch die Dämpfung des Polsters wird ebenfalls die Stabilität des Beckens auf dem Sattel verbessert, erkennbar am gleichmäßigeren Muster des Kraftangriffspunktes (schwarze Linie).
Empfehlung 1: Bei regelmäßigen Radtouren mit mehr als 30 Minuten Fahrzeit ist eine gepolsterte Radhose zu empfehlen!
2. Radhose & Sitzposition
Die Suche nach der passenden Radhose sollte im Kontext der Sitzposition stattfinden. So stellen sportlich gestreckte Positionen, die bei ambitionierten Rennradfahrern und Triathleten zu 90% vorkommen, andere Herausforderungen an die Beckenkippung und dementsprechend an das Hosenpolster als aufrechte Positionen, die hauptsächlich im Trekking-, Touring und MTB-Bereich eingenommen werden. Generell sollte die Hose dort dämpfen, wo der Sportler die stärkste Kraft auf den Sattel bringt: – bei sportiven Positionen im vorderen Bereich des Beckens zur Dämpfung der Schambeinkufen und Schambeinfuge – bei einer moderat sportiven Position ist vor allem der mittlere Teil des Polsters zu beachten, wobei die Dämpfung nach vorne und hinten großflächig gewährleistet sein sollte – bei komfortablen Positionen im hinteren Beckenbereich zur verbesserten Druckverteilung unterhalb der Sitzbeinhöckern
Empfehlung 2: Bewerten Sie eine neue Radhose beim Hosenkauf nicht einfach im Stehen sondern in Bezug zur tatsächlichen Sitzposition.
3. Ecken und Kanten: das Äußere des Polsters
Bei Sitzpolstern gilt das Gleiche wie bei Sätteln: Die Kontaktfläche sollte groß genug sein, um die gesamte Unterseite der Beckenknochen abzudecken. Zu schmale Polster führen meistens dazu, dass die knöcherne Struktur über eine Kante oder Naht reibt, und zwar regelmäßig in jedem einzelnen Tretzyklus. Dadurch entsteht eine „Scheuerbewegung“, die ca. 4000 mal pro Stunde durchgeführt wird und damit eine enorme Belastung für die Haut darstellt. Da sich die Beckenbreite von Mensch zu Mensch unterscheidet, muss die Frage nach der optimalen Polsterbreite individuell beantwortet werden!
Vergleich zweier Sitzpolsterbreiten bei unserem Probanden
Links ist das zu schmale Polster, rechts die optimale Polsterbreite dargestellt. Im Vergleich zur Neutralhose dämpft das schmale Polster zwar auch, jedoch nur mit 7% Druckreduzierung (gegenüber 25% im rechten Bild). Die Druckpunkte liegen vor allem an der Außenseite, was die Reibung über die Polsternaht verdeutlicht.
Übrigens steht die Beckenbreite nicht in Zusammenhang zur Körpergröße, das heißt vereinfacht: Ein große Person hat nicht automatisch einen breiten Sitzknochenabstand. Vielmehr definiert vor allem die Sitzposition die Kontaktauflage des Beckens auf dem Sattel und hat deshalb weit mehr Bedeutung als die Körpergröße! In neueren Verfahren lässt sich die Beckenposition auf dem Sattel beim Fachhändler per Druckmessung individuell ermitteln. Diese Analyse resultiert in dem individuellen Beckenindex, der es ermöglicht, die passende Polsterbreite zu finden.
Empfehlung 3: Nutzen Sie die Möglichkeiten Ihres Fachhändlers oder Bikefitters und lassen Sie Ihren individuellen Beckenindex ermitteln!
4. Atmungsaktivität
Ein Sitzpolster sollte einerseits nicht zu schmal, andererseits aber nicht maximal breit sein, da der Polsterbereich bei weitem nicht die gleiche Atmungsaktivität wie das umliegende Lycra Material aufweist. Die Möglichkeit „zu atmen“ ist jedoch enorm wichtig für die Haut, da es im Sitzbereich durch die natürliche Beckenbewegung und die Zeitdauer im Sattel zu hoher Wärme-Entwicklung und Transpiration kommt. Dies wird natürlich bei warmen Außentemperaturen im Sommer oder bei Regenwetter noch verstärkt. Der Abtransport der Feuchtigkeit ist deshalb eine weitere wichtige Funktion, die die Radhose erfüllen sollte. Empfehlung 4: Achten Sie auf die optimale Polsterbreite – weder zu schmal, noch zu breit ist empfehlenswert!
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Auswahl der Radhose für den Komfort auf dem Sattel von Bedeutung ist. Sie ist neben anderen Aspekten des Bikefittings ein wichtiger Baustein, der über eine entspannte und angenehme Zeit im Sattel entscheidet. Die Kaufentscheidung sollte individuell unter Berücksichtigung von der Beckenform und Sitzposition getroffen werden.
Autor: Daniel Schade