Die Kniebeuge als Wegweiser im Bike-Fitting

Neben der Analyse der Bewegungsabläufe auf dem Fahrrad interessiert uns Bike-Fitter, wie es um die Athletik unserer Sportler bestellt ist. Dabei ist die Kniebeuge ein wichtiger Informationsgeber für den Entscheidungsprozess im Bike-Fitting.

Die einbeinige Kniebeuge ähnelt der Tretbewegung beim Radfahren. Für das Ausführen einer Kniebeuge im Bike-Fitting gibt es allerdings zwei vollkommen unterschiedliche Beweggründe: Testbewegung und Trainingsmaßnahme. Die Testbewegung dient uns als bewegungsdiagnostischer Schritt an Land. So sehen wir grundlegende Bewegungsauffälligkeiten, bevor es zur weiteren Analyse aufs Fahrrad geht.

In diesem ersten Teil des Blogbeitrages geht es um die Ausführung einer Kniebeuge als Testbewegung. Im Zweiten dreht sich alles um die Kniebeuge als radsportspezifische Trainingsmaßnahme – viel Spaß beim Lesen!

Die Kniebeuge als diagnostischer Schritt an Land

Zu jedem Bike-Fitting gehört auch eine Einschätzung der allgemein-athletischen Voraussetzungen unserer Klienten. Wir suchen so nach Einschränkungen oder Auffälligkeiten im Bereich von Stabilität und Beweglichkeit. Die Kniebeuge ist deshalb so interessant, weil je nach Bewegungsausführung Limitierungen im Sprunggelenk, in der Hüfte und im oberen Rücken erkannt werden können. Im Verlauf der Bike Fitting Analyse auf dem Rad wird der Fahrer hierbei in der Regel gebeten, das Körpergewicht auf ein Bein zu verlagern und auf diesem eine gewisse Anzahl an Kniebeugebewegungen zu vollziehen. Dies erlaubt, einen ersten Eindruck darüber zu bekommen, in welchem Bereich der Fahrer die Tendenz einer mangelhaften Bewegungskontrolle zeigt. Betrachtet und bestenfalls aufgenommen wird hierbei der gesamte Körper aus beiden Seit- und der Frontalansicht.

Ich bevorzuge die Ausführung „Single leg to crossing balance“ bei der bei der ersten Ausführung das freie Bein nach vorne geführt wird, bei der zweiten nach hinten. Wenn notwendig, darf der Sportler sich mit einem Finger an der Wand abzustützen, da diese Testausführung viele Sportler koordinativ stark beansprucht.
Dieser Analyseschritt darf nicht mit der sauber ausgeführten einbeinigen Kniebeuge verglichen werden. Im Testablauf geben wir dem Sportler lediglich den Bewegungsauftrag und korrigieren so wenig wie möglich. Erst so können wir, den vollen Umfang an Kompensationen und Ausweichmustern erfassen.
Typische Ausweichmuster, weil die Bewegung aus athletischen Gründen nicht vollständig kontrolliert kann, zeigen sich wie folgt:

Fuß: krallen die Zehen? Ist das vordere / seitliche Fußgewölbe eher beweglich oder eher rigide?
Tipp: Wir messen hier mit einem Naviculometer den Abstand von Boden zu einem knöchernen Referenzwert. Der Unterschied in unbelastetem zu belastetem Zustand wird dokumentiert.

Sprunggelenk: übermäßiges Abweichen bei Lastaufnahme in X- oder O- Sprunggelenksachse?

Knie: übermäßiges Abweichen bei Lastaufnahme in X- oder O- Beinachse?

Becken: Ausweichen des Beckens zur Seite? (sogenanntes „Trendelenburg Zeichen“) oder des Oberkörpers zur kontralateralen Seite? (sogenanntes „Duchenne Zeichen“)

Oberkörper: Ausweichen nach vorne?
Tipp: Dies ist ein häufiges Kompensationsmuster bei schwacher Beckenstabilisationsmuskulatur, welches man nur in der Seitansicht ersehen kann!

An diesem Punkt im Fitting Ablauf sammeln wir wichtige Hinweise für die Analyse auf dem Rad. Wir können aus dem Ergebnis schließen, auf welche Kontaktstelle in der funktionellen Analyse auf dem Rad ganz genau geachtet werden muss. Letztendlich können wir sogar entscheiden, welche Messtechnik im Schwerpunkt Anwendung finden sollte. Dies bedeutet, dass bei einem auffällig instabilen Fußgewölbe der Einsatz von Druckmessfolien in der Schuhinnensohle eint Pflichtprogramm sein muss. Bei einem auffällig instabilen Becken bedarf hingegen die Kontaktstellenanalyse des Sattels besondere Aufmerksamkeit.

Ergebnisse einer Studie aus 2016 legen nah, dass Fahrerinnen, die eine mangelhafte Bewegungskontrolle des Beckens in der Kniebeuge zeigen, dies auf dem Rad bestätigen. Eine mangelhafte Bewegungskontrolle auf dem Rad ist im Umkehrschluss durch ein gezieltes Athletiktraining in den Griff zu bekommen. Wer auf dem Rad übermäßig mit dem Becken kippt, das sogenannte „Rocking“ sollte also vom Bike-Fitter auch entsprechende Trainingsempfehlungen mit auf den Weg bekommen.

Bild 1: Zusammenhang von an-Land und radspezifischer Bewegungskontrolle des Beckens

Jede Untersuchungsmaßnahme im Bike Fitting sollte zu einer pragmatisch relevanten Aussage führen. Diesbezüglich hat die diagnostische Kniebeuge sehr viele Vorteile – zur Verdeutlichung zwei Beispiele aus dem Labor:

Das Becken-Muster

An Land Übung: Diagnostische Kniebeuge

Auffälligkeit in der Bewegungsanalyse: Kompensationsmuster 4 (Becken weicht auf einer Seite stark zur Seite aus)
Nicht auffällig: stabiles Fußgewölbe und Sprunggelenkachse

Bestätigung auf dem Rad

Auffälligkeit in der Bewegungsanalyse: X – Beinachse in der Tretbewegung
Übermäßige Expansion des Kraftangriffspunktes in die seitliche Ausrichtung („rocking“)

Bild 2: Ein valgisches (X-)Beinmuster bei Lastaufnahme

Bike-Fitting
Im Generellen wird hier eine Position angezielt, die der athletischen Kondition des Fahrers entspricht – sportlich, aber eben nicht zu aggressiv, was die Sitzlänge und Überhöhung betrifft. Die Maßnahmen zur Optimierung der Stabilität auf dem Sattel liegen in der Reduzierung der Sitzhöhe, einem Modellwechsel und der optimalen Sattelpositionierung.

Zusätzlich wird ein überschaubares und effektives Athletiktraining mit dem Fahrer entwickelt. Nach 8 Wochen erscheint der Fahrer zu einem Folgetermin. In diesem wird die Entwicklung der Bewegungskontrolle an Land -anhand der Abweichung des Beckens bei Lastaufnahme in der Kniebeuge- und auf dem Rad –anhand der Abweichung der Beinachse und des Kraftangriffspunkt in der Seitachse-  überprüft.

Das Sprunggelenksmuster

An Land Übung: Diagnostische Kniebeuge
Auffälligkeit in der Bewegungsanalyse: Krallende Zehen und Schwierigkeiten, das Fußgewölbe stabil zu halten

Bestätigung auf dem Rad
Auffälligkeit in der Kontaktstellenanalyse: Starke Expansion des Kraftangriffspunktes im Schuh, stabile Situation auf dem Sattel

Bestätigung und Quantifizierung
Übermässige Expansion des Kraftangriffspunktes

Bild 3: Krallende Zehen und eine in der Dynamik einknickende Sprunggelenksachse

Bike-Fitting
Die Ergebnisse legen nahe, Maßnahmen an der Kontaktstelle Fuß / Pedale zu ergreifen, da die üblichen Verdächtigen (Becken- und Rumpfstabilität) hier initial nicht auf sich aufmerksam gemacht haben.

Eine maßgefertigte Einlage mit der Zielsetzung der Stabilisierung des Fußes und Sprunggelenkes bewirkt eine Stabilisierung des gesamten Systems, wie die Ergebnisse in Bewegungsanalyse und Kontaktstellenanalyse darlegen.

Bild 4: Stabilisierung des Fußes im Schuh durch eine radspezifische Maßeinlage

Fazit

Die Übung, bei der das Körpergewicht auf einem Bein übernommen und das Knie gebeugt wird, darf nicht mit der anspruchsvollen Athletikübung „Kniebeuge“ verwechselt werden.

Als Testbewegung ist die diagnostische Kniebeuge allerdings ein potenter Wegweiser. Sie erleichtert die zielgerichtete Maßnahmenentscheidung im Fittingprozess und sollte standardisiert in keinem Bike Fitting Protokoll fehlen.

Quellen:
Kraus, 2016: „Female Specific Movement Pattern“, Science&Cycling Konferenz, Caen (Frankreich)

Hinweis:
ISCO Level 2 zertifizierte Fitter und gebioMized Partner mit dem ab November 2016 gültigen Partnervertrag können folgende Dokumente im Partnerbereich erhalten:
– Vollständige Präsentation „Female Specific Movement Pattern“
– Detaillierte Testbeschreibung der diagnostischen Kniebeuge mit Richtwerten zu KAP Dimensionen

Autor: Lotte Kraus

Rückmeldungen und Nachfragen bitte an lotte.kraus@gebiomized.de