SITZHÖHE – EIN UNTERSCHÄTZTER PARAMETER?

Heute möchte ich mich in diesem Blog einem Thema widmen, was auf den ersten Blick vielleicht trivial wirken könnte: Die Einstellung der richtigen Sitzhöhe. Trivial deshalb, weil sich viele schlaue Wissenschaftler bereits mit dem Thema beschäftigt haben und es doch genug Formeln gibt ( z.B von LeMond 1990*, Gressmann 1990*, usw.), die aus meiner Innenbeinlänge die passende Sitzhöhe berechnen.

Warum also im Jahre 2014 noch ein Blogeintrag zu diesem allseits bekannten Thema?

Zuallerst möchte ich die Bedeutung des Parameters Sitzhöhe für die gesamte Position auf dem Rad aufzeigen. Die falsche Einstellung der Sitzhöhe ist einer der Hauptgründe für zahlreiche Beschwerden, die auffälligsten sind:
1. Sitzbeschwerden am Sattel
Ein zu hoch eingestellter Sattel ist eine häufige Ursache für Sitzbeschwerden. Bereits minimale Veränderungen können große Wirkungen haben, beispielsweise zeigt sich regelmäßig in unserem Laboralltag, dass die Reduzierung der Sitzhöhe um 5mm den Maximaldruck am Sattel um 15-20% minimieren kann!
2. Kniebeschwerden
Zu tiefes Sitzen kann das Knie vor allem im Bereich der Patella stark belasten, da der Anpressdruck in der Druckphase erhöht wird. Das Gegenteil, also zu hohes Sitzen, kann das Kniegelenk ebenfalls übermäßig beanspruchen.
3. Beschwerden im LWS Bereich
Eine falsche Sitzhöhe begünstigt Rechts-Links Bewegungen des Beckens und belastet so die Bandscheiben im Bereich der Lendenwirbelsäule.
4. hinterer Oberschenkel
Besonders bei Verkürzungen der hinteren Oberschenkelmuskulatur kann ein zu hoher Sattel zu Muskelverspannungen bis hin zu Muskelkrämpfen führen

Ein Punkt, der bisher wenig in der Literatur diskutiert wird, ist der Unterschied zwischen gemessener und effektiver Sitzhöhe: Die Sitzhöhe wird als Distanz zwischen Kurbelmitte und Satteloberfläche, meistens am Sitzrohr entlang gemessen.

Dabei wird jedoch in vielen Analysen die Druckverteilung am Sattel außen vor gelassen. Es spielt eine entscheidende Rolle, ob ich vorrangig auf der Sattelnase oder auf dem hinteren Bereich des Sattels sitze. Deshalb kann sich die gemessene Sitzhöhe von der effektiven Sitzhöhe unterscheiden, in manchen Fällen durchaus signifikant im Zentimeter-Bereich!
Ein Beispiel:
Fahrer A und B verfügen beide über die gleiche Innenbeinlänge, der Nachsitz des Sattels ist exakt gleich eingestellt (6cm). Fahrer A sitzt bei einer Sitzhöhe von 80cm (am Sitzrohr entlang gemessen) auf dem Sattel in einer Zone von 10-15 cm (Mittelpunkt 12,5 cm) hinter der Sattelnase. Seine effektive Sitzhöhe beträgt deshalb 79,5 cm. Fahrer B sitzt bei gleicher Sitzhöhe im Bereich von 16-24 cm (Mittelpunkt 20 cm) hinter der Sattelspitze. Die effektive Sitzhöhe beträgt 80,5 cm. So entsteht ein Unterschied von 1 cm bei der effektiven Sitzhöhe im Vergleich zwischen Fahrer A und B.

Aus diesem Grund nutzen wir die Satteldruckmessung in jedem Bikefitting nicht nur um den Sattel zu optimieren, sondern auch um die richtige Sitzhöhe einzustellen. Der Analyseparameter Kraftangriffspunkt zeigt uns eindeutig den zentralen Druckpunkt des Fahrers ( z.B. die 12,5 cm bei Fahrer A). So kann die effektive Sitzhöhe in die Bewertung der Position einfließen.

Zum Abschluss möchte ich noch auf die gängigen Formeln zur Sitzhöhe eingehen:
Formeln können meiner Meinung nach nur einen Näherungswert ergeben, da sie das statistische Ergebnis aus Untersuchungen mit vielen Probanden sind. Sie stellen also den Mittelwert der untersuchten Gruppe dar. Dieser Wert kann vom Einzelnen mehr oder weniger stark abweichen. Wenn wir aber wissen, dass auch minimale Veränderungen der Sitzhöhe einen Effekt auf Komfort und Kraftübertragung nach sich ziehen, wird deutlich, dass die individuelle Anpassung der Sitzhöhe der reinen Formellehre vorzuziehen ist. Des Weiteren werden individuelle Besonderheiten wie Flexibilität, Muskelverkürzungen, Asymmetrien etc. in Formeln nicht berücksichtigt. Besonderheiten stellen in unserem Laboralltag aber eher die Regel als die Ausnahme dar, denn kein Radsportler ist wie der andere!

Fazit:
Ich hoffe mit diesem Artikel verdeutlichen zu können, dass die Sitzhöhe weiterhin ein enorm wichtiger Parameter im Bikefitting ist, der definitiv noch nicht komplett erforscht ist. Die Auswirkungen der Sitzhöhe sind vielfältig und können ebenfalls die anderen Kontaktstellen Fuß-Pedal und Hand-Lenker betreffen. Eine sinnvolle Ergänzung zu einer optischen Betrachtung der Kette Fuß – Knie – Becken kann der Einsatz von Druckmessung im Fitting sein. Iin diesem Artikel bin ich vor allem auf Sitzhöhe & Beschwerden eingegangen, deshalb werde ich im zweiten Teil den Fokus auf Sitzhöhe & Kraftübertragung legen.

Autor: Daniel Schade

*Quellen:
Lemond & Gordis: Greg LeMonds Complete Book of Bicycling – 1990.
Gressmann: Fahrradphysik und Biomechanik – 1990.